Unter vielen
Ländern, die im 20. Jahrhundert im Machtbereich der Sowjetunion
standen, war Polen der Staat, in dem die Realisierung
imperialistischer Pläne den Sowjets sehr große Schwierigkeiten
bereitete.
Bereits im
Zeitraum der zwanzig Jahre zwischen den beiden Kriegen war
sowohl die Regierung als auch die überwiegende Mehrheit der
polnischen Gesellschaft entschieden antikommunistisch und
antisowjetisch.
Die linksradikalen Gruppierungen bestanden
nur aus einem relativ geringen Prozentsatz politisch engagierter
Menschen.
Mit der
Ausarbeitung der Pläne zur Lösung des „polnischen Problems"
wurde in der UdSSR bereits vor dem Ausbruch des zweiten
Weltkrieges begonnen. Stalin und seine Berater erkannten, daß
die Propaganda und Indoktrination nicht ausreichten, um die
Feindschaft gegenüber dem Kommunismus und dem sowjetischen
System zu überwinden.
Die ablehnend eingestellten militärischen und
politischen Eliten sowie die Intelligenz sollten als potentielle
Opposition eingesperrt oder einfach liquidiert werden.
Der Gesamtplan
zum Erreichen dieser Ziele wurde in zwei Phasen eingeteilt:
Die Phase I (1939 - 1941)
Im Sinne des
geheimen Protokolls im Anhang des Ribbentrop-Molotow Paktes vom
September 1939 wurde die Hälfte des östlichen Territoriums
Polens durch die Sowjetunion besetzt und praktisch von der Welt
abgeschnitten. Dieses erlaubte Stalin eine große Handlungs- und
Strafffreiheit.
Die
Liquidierungsaktion gegenüber der polnischen Bevölkerung begann
bereits in den ersten Tagen der Okkupation. Gefängnis, Folter
und Deportationen betrafen Tausende Offiziere, Unteroffiziere
und einfache Soldaten, militärische Umsiedler mit ihren
Familien, Beamte staatlicher und örtlicher Organe, Juristen,
Politiker, Universitätsdozenten, Lehrer, Industrielle,
Gutsbesitzer und andere "unerwünschte" Mitglieder der
Gesellschaft. Die Repressionen bekam auch die über
100.000-köpfige Gemeinde polnischer Juden in den Gebieten im
Osten der Republik zu spüren.
Unter den
Verfolgten befanden sich unter anderen ca. 20.000 Offiziere der
Polnischen Streitkräfte, der Grenzschutzkorps sowie der
Funktionäre der Staatspolizei. Sie wurden in die Lager von
Kosielsk, Ostaszkow und Starobielsk verbracht. Im Frühling 1940
wurde die Mehrheit von ihnen in Katyn, Charkow und Miednoje
ermordet.
Die Phase II (1944 - 1945)
Im Juni 1941
brach der deutsch-sowjetische Krieg aus, der die Ausführung des
zweiten Teils von Stalins Plan gegenüber Polen behinderte. Die
Vorbereitungen hierzu wurden jedoch unvermindert fortgesetzt.
Als im Januar 1944 die Rote Armee in ihrem siegreichen Vormarsch
die Linie des Buges überschritt, konnte Stalin die zweite Phase
seiner Handlungen beginnen, dieses Mal in den westlichen
Gebieten der Republik.
Auch hier war
die überwiegende Mehrheit der Polen Befürworter der Demokratie
nach westlichem Muster. Während der deutschen Okkupation
unterstützte der größte Teil der Gesellschaft den mit der
Regierung der Republik Polen in London verbundenen
Untergrundstaat, der alle politischen Parteien umfaßte, außer
einer zahlenmäßig kleinen kommunistischen Partei (PPR).
Die
militärische Kraft des Untergrundstaates stellte die Heimatarmee
dar, die auf dem Höhepunkt ihres Bestehens über 300.000
Mitglieder besaß.
Diese politisch und militärisch
gewaltige Opposition gegen das sowjetische System mußte auch
eliminiert werden. Dieses Mal auf eine um so raffiniertere und
verschleierte Art und Weise; und zwar am besten mit Hilfe einer
kleinen Gruppe polnischer Kommunisten.
Umsicht im
Handeln war durch die damalige politische Situation und die
engen Verknüpfungen der zur Liquidierung vorgesehenen Eliten mit
der Londoner Regierung und dem Lager der Alliierten geboten. Der
Diktator wollte und durfte keinen potentiellen Konflikt mit den
bisherigen Verbündeten riskieren, indem er die Polen im eigenen
Lande zu verfolgen begann.
Er traute
jedoch seinen polnischen Helfershelfern nicht vollständig. Er
glaubte nicht, daß die neugeschaffenen Abteilungen der
Sicherheitsbehörde (UB), (die sich aus Menschen mit ungeprüfter
Loyalität oder aus einfachen Opportunisten zusammensetzten), die
ihnen übertragenen Aufgaben erfolgreich ausführen würden.
Letztlich war das mit Morden, Gefängnis, Folter und der
Deportation von Landsleuten verbunden.
Aus diesem
Grunde wurden ihre Reihen durch Mitglieder der Einheiten der
Sowjetischen Sicherheitsbehörde (NKWD) verstärkt, die
unmittelbar aus der UdSSR herbeigeschafft wurden. Diese
militärischen und politischen „Berater" erhielten typisch
polnische Namen, viele von ihnen trugen polnischen Uniformen
höherer Offiziere der polnischen Streitkräfte.
Sie bildeten einen Kader von „Fachleuten",
deren Hauptaufgabe es war, Abteilungen der Polizei und der
Sicherheitsbehörde (UB) zu führen und zuerst die
Untergrundfunktionäre, die in der Okkupationszeit mit der
Londoner Regierung verbunden waren, zu ermitteln, zu verhaften,
zu ermorden oder zu deportieren und später praktisch alle, die
in irgendeiner Weise ihre pro-westlichen Sympathien zum Ausdruck
brachten.
Eine Reihe von Mitgliedern dieser
Kader nahm hohe Positionen im kommunistischen Regime in Polen
ein; sowohl in der Regierung, in den örtlichen Behörden, in der
Polizei, im Geheimdienst, in der militärischen und zivilen
Rechtssprechung, als auch in der neu geschaffenen Volkspolizei
(MO). Ihre Aufgabe war es, Polen in ein kommunistisches Land
umzugestalten. Dieser Kader erfüllte seine Aufgaben effektiv und
präzise: Zehntausende polnischer Patrioten wurden ermordet,
Hunderttausende inhaftiert und deportiert.
Zu Beginn der fünfziger Jahre wurde
der Prozeß der Sowjetisierung der staatlichen Strukturen zu Ende
geführt.
Heute, fast ein halbes Jahrhundert
nach Stalins Tod, hinterließ seine Politik dauerhafte Spuren im
polnischen Volk. Die Liquidierung politischer und
intellektueller Eliten, die permanente Indoktrination und die
Demoralisierung des Alltagslebens führten fast zu seinem
Untergang.
Die Rückbesinnung und der Neuaufbau wird ein
langer und schwieriger Prozeß sein.
Dr. Andrzej Slawinski London